top of page
iStock-629098988.jpg

AKTUELLE BEITRÄGE

Entscheid vom 14. Juni 2019 des Kantonsgerichts Luzern (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)


  • Urteilsreferenz: 3H 18 93 / 3H 18 94

  • Keywords: Art. 307 ZGB, Art. 310 ZGB, Art. 314 Abs. 1 i.V.m. 445 ZGB


Sachverhalt

Mit Entscheid vom 6. Dezember 2018 wurde unserer Klientin in einer "Nacht-und-Nebel-Aktion" anhand einer superprovisorischen Massnahme durch die KESB in Zusammenarbeit mit der Beiständin und der Polizei das Aufenthaltsbestimmungsrecht über die Kinder entzogen und die Kinder wurden provisorisch fremdplaziert. Der Entscheid wurde am 18. Dezember 2018 durch die KESB bestätigt und es wurde eine Kindsvertreterin bestellt.


Gegen den Entscheid erhoben wir eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragten, dass der Entscheid vollumfassend aufgehoben wird. Trotz fragwürdiger Herauszögerung des Verfahrens - darauf komme ich noch zu sprechen - wurde die Beschwerde mit Urteil vom 14. Juni 2019 in allen Punkten gutgeheissen und unsere Klientin erhielt ihre Kinder zurück in ihre Obhut.


Rechtliches

Eine Massnahme des KESB muss immer verhältnismässig und geeignet sein sowie das Subsidiaritätsprinzip wahren (Art. 314 Abs. 1 ZGB i.V.m. 389 ZGB). Die Fremdplatzierung der Kinder stellt die einschneidendste Massnahme im Sinne einer "ultima-ratio" dar, die der KESB zur Verfügung steht, um einer Gefährdung des Kindeswohles entgegenzuwirken (Art. 307 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 310 ZGB).


Vorliegend wurde dieser Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts sogar vorsorglich bzw. vorab superprovisorsich verfügt (Art. 314 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 445 Abs. 2 ZGB). Eine solche Massnahme setzt zusätzlich eine Dringlichkeit voraus (vgl. dazu ausführlich Art. 265 ZPO). Inwiefern eine solche Dringlichkeit bestand, war auch dem Kantonsgericht Luzern schleierhaft.


Weder bestand jemals eine solche Dringlichkeit, noch war die Massnahme verhältnismässig. Schliesslich wurde sogar von der Person, welche die Gefährdungsmeldung gemacht hat - wohlbemerkt die fürsorgende Beiständin -, keine eigentliche Gefährdung nachgewiesen oder abgeklärt und sogar alternative bzw. subsidiäre Möglichkeiten zur Begegnung der möglichen Kindesgefährdung aufgezeigt.


"... in der vorgängigen superprovisorischen Anordnung vom 6. Dezember 2018 ist ein schwerwiegender Verfahrensfehler zu sehen, da aus den gesamten Akten keine besondere Dringlichkeit im Sinne von Art. 445 Abs. 2 ZGB hervorgeht ..." (E. 3.4.2)

Kommentar des Autors

Das Vorgehen der KESB war zwar i.S. des Kindeswohls wahrscheinlich gut gemeint, ist aber rechtlich gesehen extrem fragwürdig. Die KESB hat den Sachverhalt nicht annährend abgeklärt und vorab blind der Meldung der Beiständin vertraut, welche sich bloss auf Vermutungen stützte, weil sie keinen Kontakt mehr zu den Eltern aufrecht erhalten konnte. Die Beiständin meldete dabei ausserdem nur, dass "einer Tagesbetreung oder eine Platzierung ins Auge gefasst werden sollte oder eine Erwachsenenschutzmassnahme für die Eltern die Situation verbessern könnte". Danach wurde intern bei der KESB beschlossen - auf eine fragliche Art und Weise, welche nicht einmal schriftlich koheränt dokumentiert wurde - dass plötzlich von einem "sofortigen Handlungsbedarf" und von einer Gefährdung der Kinder ausgegangen werden müsse. Dabei war sogar den internen E-Mails der KESB zu entnehmen, dass es sich um "keinen Notfall" handelt". Trotzdem wurde eine Notfallfamilie organisiert und die Kinder wurden in einer Nach-und-Nebel-Aktion mit der Polizei während der Schulzeit zur Notfallfamilie gebracht.


Interessant ist auch, dass die KESB mit dem Entscheid vom 18. Dezember 2018 eine Kindesvertretung ("Kinderanwältin") ernannt hat, welche es nicht einmal für nötig befunden hat, innert der Rechtsmittelfrist die Akten des Verfahrens zu beantragen. Dies allein stellt m.E. bereits eine Verletzung von Art. 314a(bis) Abs. 3 ZGB dar, weil damit die Interessen der Kinder gar nicht wahrgenommen werden konnten. Zudem beantragte sie anschliessend im Rechtsmittelverfahren eine Fristerstreckung, um die Akten der KESB einsehen zu können und erwähnte, dass sie ausserdem noch ferienabwesend sei. Entsprechend hätte sie dieses Mandat gar nie annehmen dürfen. Nichtsdestotrotz wurde der Fristerstreckung stattgegeben und die Kindesvertretung reichte danach eine 27-seitige Stellungnahme ohne Anträge ein, welche das Gericht in seinem Urteil mit einem einzigen Satz zusammenfassen konnte, weil die Stellungnahme derart nichtsaussagend war. Dies ist doch sehr fragwürdig, schliesslich hätte eine rechtskundige Person die Verfahrensfehler klar erkennen und entsprechende Anträge stellen müssen.


Zusammengefasst zeigt dieser Fall eindrücklich, dass eine rechtliche Unterstützung in KESB-Verfahren oftmals leider notwendig ist. Die Rechtskanzlei Fernanda Pontes hat viel Erfahrung in Verfahren vor der KESB und setzt alles daran, Sie in solchen Verfahren zu unterstützen.




Entscheid vom 2. April 2019 des Verwaltungsgerichts St. Gallen

  • Urteilsreferenz: B 2019/14

  • Keywords: Art. 17 AIG, Art. 6 VZAE, Art. 8 EMRK, Art. 3 PKV St. Gallen, Art. 5 Abs. 2 BV, Art. 3 Abs. 1 KRK

Sachverhalt

Am 11. Oktober 2018 reichte unsere Klientin (damals noch nicht von uns vertreten) für ihren Enkel aus Brasilien, über den sie seit 2015 die faktische Obhut hat, ein Gesuch um Familiennachzug ein, als sie aufgrund ihrer Arbeitstätigkeit von Brasilien zurück in die Schweiz ziehen musste.


Das Migrationsamt des Kantons St. Gallen wies das Gesuch um Gewährung des vorübergehenden Aufenhalts während des Gesuchsverfahrens mit Verfügung vom 18. Oktober 2018 ab und wies das 12-jährige Enkelkind aus der Schweiz weg. Das Migrationsamt war der Ansicht, dass der Entscheid im Ausland abzuwarten sei, weil die Zulassungsvoraussetzungen nicht offensichtlich (Art. 17 Abs. 2 AIG) erfüllt gewesen seien.


Daraufhin beauftragte sie die Rechtskanzlei Fernanda Pontes, um den Entscheid anzufechten, damit ihr Enkel während des Gesuchsverfahrens in der Schweiz bleiben kann. Zwar wurde der Rekurs vom Sicherheits- und Justizdepartement mit Entscheid vom 28. Dezember 2018 ebenfalls abgewiesen, doch schliesslich konnten wir uns mit der darauffolgenden Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen durchsetzen und der Entscheid wurde aufgehoben.

Die Beschwerde wird gutgeheissen und der angefochtene Entscheid vom 28. Dezember 2018 aufgehoben.

Rechtliches

Die Vorinstanz sowie auch das Migrationsamt erwägten, dass die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 2 AIG nicht erfüllt seien, weil die Bewilligungserteilung für die Aufnahme eines Pflegekindes an diverse Eignungsvoraussetzungen geknüpft ist (Art. 3 PKV i.V.m. Art. 4 PAVO) und es deshalb unklar sei, ob unserer Klientin diese Bewilligung erteilt werden würde.


Obwohl unsere Klientin seit 2015 die faktische Obhut über den Enkel verfügte, wurde ein solch prozessualer Leerlauf in Kauf genommen, was der Rechtsprechung klar widerspricht (BGer 2C_76/2013, Urteil vom 23. Mai 2013, E. 2.2.3). Zudem wurde ebenso die Verhältnismässigkeit (Art. 5 Abs. 2 BV i.V.m. Art. 96 AIG) nicht gewahrt. Bestehen keine öffentlichen Interesse an der Rückkehr, ist bei absehbarer bzw. wahrscheinlicher Bewilligungsmöglichkeit vorrangig das Bewilligungsverfahren abzuschliessen (BGer 2C_76/2013, Urteil vom 23. Mai 2013, E. 2.2.4). Es war nicht ersichtlich, inwiefern das öffentliche Interesse an einer Fernhaltung des Enkels während des Bewilligungsverfahrens sein privates Interesse überwiegen sollte, bis zum Sachentscheid bei unserer Klientin zu verbleiben (BGer 2C_76/2013, Urteil vom 23. Mai 2013, E. 2.3.5). Alle Massnahmen, die Kinder betreffen, müssen nach Art. 3 Abs. 1 KRK (UNO-Kinderrechtskonvention) nach deren Wohl vorrangig berücksichtigt werden, unabhängig davon, ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen ausgehen (BGE 135 I 153, E. 2.2.2).


Kommentar des Autors

Auch wenn unsere Klientin mit dem Entscheid zufrieden war, finde ich es fragwürdig, dass auch das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen sich nicht wirklich zum prozessualen Leerlauf geäussert hat. Es hat in seinem Entscheid diesen Punkt schlichtwegs umgangen und seine Begründung vor allem auf den Eignungsbericht des Amtes für Soziales abgestützt, der offensichtlich erst später eingereicht werden konnte und lediglich bestätigte, dass unsere Klientin, die sich seit 2015 um das Kind gekümmert hatte, dazu auch fähig ist.


Grundsätzlich hätte aber (meiner Meinung nach) das Gesuch bereits bei der Vorinstanz bewilligt werden müssen, da die Verhältnismässigkeit nicht gewahrt wurde (vgl. Ausführungen oben) und selbst bei einer summarischen Prüfung die Erfolgsaussichten des Gesuchs offensichtlich positiv zu werten waren.


Das Bundesgerichts führte aus (BGer 2C_76/2013, Urteil vom 23. Mai 2013, E. 2.1.2):

Die Behörden müssen diese Aspekte allerdings in ihre summarische Würdigung mit einbeziehen, wenn - wie hier - bereits ein schützenswertes Familienleben nach Art. 8 EMRK besteht, in das mit Art. 17 Abs. 1 AuG eingegriffen wird. Die Anwendung des Grundsatzes, dass der Bewilligungsentscheid im Ausland abzuwarten ist, muss grundrechtskonform erfolgen; unverhältnismässige, schikanöse Ausreiseverpflichtungen und Verfahrensverzögerungen sind im Interesse aller Beteiligten unter Berücksichtigung des Beschleunigungsgebots (vgl. Art. 29 Abs. 1 BV) primär dadurch zu vermeiden, dass rasch erstinstanzlich in der Sache entschieden wird.

Zwar hat die Vorinstanz sehr wohl "rasch entschieden", doch war der Entscheid weder grundrechtskonform noch verhältnismässig. Das Verwaltungsgericht des Kantons St. Gallen bestätigte zwar die Beschwerde in allen Punkten, doch schützte sie die Vorinstanz, indem sie sich mehrheitlich in ihrer Entscheidung auf den praktisch bedeutungslosen Eignungsbericht stützte.


Die Eignungsabklärung für Pflegeeltern, welche für den Familiennachzug vorausgesetzt und in Art. 4 PAVO i.V.m. der kantonalen Verordnung (Art. 3 PKV St. Gallen) geregelt ist, zielt eigentlich darauf ab, Pflegeeltern für Kinder zu finden und deren Eignung zu prüfen. In unserer Situation handelte es sich aber nicht um eine beliebige Drittperson, welche sich als Pflegeperson zur Verfügung gestellt hatte, sondern um die Grossmutter des Kindes, die sogar die faktische Obhut über das Kind seit Jahren ausgeübt hatte und die elterliche Sorge gerichtlich übertragen erhielt.


Insoweit kann ich bis heute nicht nachvollziehen, wieso es die Vorinstanz auf einen solchen prozessualen Leerlauf abzielte. Sogar nach Erhalt der Eignungsabklärung beantragte die Vorinstanz in ihrer Vernehmlassung am 4. März 2019, die Beschwerde abzuweisen. Damit ist eigentlich für mich klar, dass die Vorinstanz in keinem Zeitpunkt eine saubere Prüfung der Erfolgsaussichten vorgenommen hat.


Die Rechtskanzlei Fernanda Pontes setzt sich für ihre Klienten ein und lässt sich nicht von negativen und fehlerhaften Entscheiden beirren. Es bleibt zu hoffen, dass sowohl die Vorinstanz als auch das Migrationsamt des Kantons St. Gallen zukünftig sorgfältiger Gesuche dieser Art prüfen werden.

bottom of page